Erfahrungsberichte aus Orewa

Orewa College: Christina R.

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Hätte jemand mir vor vielleicht einem Jahr gesagt, dass ich ein halbes Jahr lang alleine am anderen Ende der Welt unter wildfremden Leuten leben würde und außerdem total unabhängig rumreisen und die verrücktesten Sachen machen würde (Bungeejumping, zum Beispiel), dann hätte ich ihn wohl ausgelacht. Oder, wenn ich genauer drüber nachdenke, hätte ich ihn ungläubig und fasziniert angestarrt und wochenlang darüber nachgedacht und gezweifelt, statt es einfach auszuprobieren. Aber genau das habe ich getan. Sowohl das Zweifeln als auch das Ausprobieren. Nur bin ich es anders angegangen. Ungefähr zwei Jahre vorher habe ich angefangen, darüber nachzudenken, zu träumen, irgendwann zu planen. Darüber, nicht genommen zu werden, hätte ich mir keine Sorgen machen müssen, aber gut. Und dann - am 23. Januar - saß ich tatsächlich im Flieger, zum ersten Mal in meinem Leben, um eingequetscht zwischen Fremden ans schönste andere Ende der Welt zu fliegen. Und, ja, natürlich rede ich von Neuseeland. Nach einer Woche Vorbereitungsseminar in Auckland bin ich an meinem Endziel, Orewa bzw. dem Nachbarort Whangaparaoa, und bei meiner Gastfamilie angekommen. Und von da an wurde alles fantastisch. Natürlich war ich von Anfang an wahnsinnig aufgeregt, besonders wegen meiner Gastfamilie, nachdem ich in Auckland nicht besonders glücklich war. Aber ich hatte wahnsinniges Glück (oder vielleicht war es ja so was wie Vorhersehung? Wer weiß und ich glaube, es hätte kaum besser kommen können: Meine Gastmutter war doch tatsächlich über siebzig, hat tausende Kinder aufgezogen (nicht nur ihre eigenen) und ist insgesamt eine der interessantesten und tollsten Menschen, die ich je getroffen habe. Nach fünf Monaten wurden einem dann auch bei so jemandem gewisse Fehler bewusst, aber meine Güte - das macht uns immerhin menschlich und das Zusammenleben zu einer positiven Herausforderung. Und ich denke, so muss man die ganze Zeit dort sehen: Immer das Beste aus allem machen. Grade was das Orewa College angeht, das für diese Zeit mein zweites Zuhause war. Denn dort sind gefühlte hundert Internationals, was es (daneben dass die meisten Internationals untereinander immer nur Deutsch reden) schwieriger macht, Anschluss bei den Kiwis zu finden. Mit den richtigen Fächern und der nötigen Hartnäckigkeit klappt aber auch das. Was sehr zu empfehlen ist, ist sich außerschulisch einzubringen. Viele sind ins Fitnessstudio und Co. gegangen, da findet man viel schneller Freunde, die man dann auch oft mal im Bus oder vorm New World (Supermarkt) trifft. Was natürlich toll ist an Orewa, ist dass man mit dem Bus auf direktem Wege nach Auckland, NZs größter Stadt, fahren kann. Das dauert anderthalb Stunden und somit viel länger als mit dem Auto, aber was will man ohne Führerschein machen. Da bieten die Busse (trotz aller Beschwerden wegen ihrer Unberechenbarkeit) doch eine wunderbare Unabhängigkeit. Weitere tolle Dinge sind dort im hohen Norden Neuseelands die vielen Strände, die Freiheiten die man hat, die Attitude der Kiwis, die Sicherheit (nicht wie in manchen Großstädten hier). Und natürlich Judy. Die ist am College Dean für die Internationals, und wenn man irgendwelche Probleme hatte, konnte man getrost zu ihr gehen - und eigentlich auch, wenn man nur mal Hallo sagen wollte. Ihr Lieblingsspruch: "No worries." Auch das lernt man dort. Man bekommt einfach einen irrsinnigen Schub an Gelassenheit - wenn man sich drauf einlässt. Aber das ist immerhin das Ziel einer solchen Reise. Man will sich doch verändern. Selbständig werden und erwachsen. Aber ich sollte wohl noch etwas zu meinem Alltag dort schreiben. Ich bin morgens nicht viel später aufgestanden als hier auch, weil ich eine halbe Stunde Bus fahren musste (was zehn Minuten mit dem Auto entspricht...). Am Anfang von jedem Schultag stand erstmal die Form Class, wo man zwanzig Minuten lang in seiner Klasse rumhockte, die Anwesenheitsliste über sich ergehen ließ und dann den Daily Notices lauschte. Durch die hat man jedoch selten was verpasst von dem, was an Veranstaltungen und Ähnlichem los war. Und es ist eigentlich immer eine Menge los. Angebote v.a. für die Kiwis, was Schnupperkurse angeht. Theateraufführungen. Schulveranstaltungen wie einen Sporttag, oder sowas wie Das Supertalent für Schüler. Das bringt alles unheimlich Spaß, man kann sich beteiligen und identifiziert sich dadurch viel mehr mit der Schule. Einmal pro Woche gibt es auch ganze Oberstufentreffen, wo die Deans und die Direktorin noch mal ein ernstes Wort mit einem sprechen, was die Zukunft und den ganzen Rest angeht. In dem Moment hab ich mich dann immer sehr zu Hause gefühlt... Aber was soll man machen. Außerdem gibt es, ganz Harry-Potter-mäßig, verschiedene „Häuser“, in die man eingeteilt wird und die in verschiedenen Wettkämpfen (wie z.B. dem Sporttag) gegeneinander antreten. Das schafft dann gleich jede Menge Teamspirit, wobei es natürlich auch für freundschaftliche Kabbeleien sorgt ("MacLaren ist sowieso das beste Haus! MacLaren ist schwarz, und schwarz ist ja wohl am coolsten..."). Das Schulsystem fühlt sich, wenn man zehneinhalb Jahre lang im deutschen gefangen war, einfach bombastisch an. Ich konnte sieben Fächer wählen, von denen jeden Tag fünf dran waren; man kann an neuseeländischen Schulen alles wählen, was einem einfällt: Da gibt es von Essenkochen übers Nähen, Business bis hin zu den klassischen Fächern wie Mathe, Geschichte, Musik alles was das Herz begehrt. Auch wer schon einen Beruf oder wenigstens besondere Interessen vor Augen hat, kann in Neuseeland während dieser Zeit fündig werden (wenn er nicht mit Faulenzen beschäftigt ist). So war ich persönlich besonders begeistert von dem riesigen Angebot an musischen Dingen am OC, vor allem von Media Studies, wo ich einen Kurzfilm gemacht habe, und Drama, wo wir ein Theaterstück aufgeführt haben. Außerdem hatte ich noch das Glück, auf einen Trip zu zwei Recording bzw. Film Editing Studios zu gehen. In dem Bereich sind die Kiwis uns wirklich meilenweit vorraus. Man erhält einfach Einblicke und Vorbereitungen, die es an den deutschen Schulen so kaum gibt. Ich bin übrigens für nur drei Monate gekommen, habe dann aber verlängern müssen, weil es einfach zu schön war. Auch da habe ich mir mal wieder "no worries" machen müssen. Und so waren dann Zeit und Möglichkeiten genug für Trips all over the country. Das ist etwas ganz Besonderes am OC: ein Lehrer, der legendäre Mr Duffet, organisiert Trips für die Internationals, wo man sich anmelden kann und dann z.B. für ein Wochenende in Kleinbussen gemütlich nach Coromandel fährt und sich die berühmten Touriorte der Cathedral Cove und des Hot Water Beach anschaut. Meine schönste Zeit hatte ich wohl auf der zwölf Tage dauernden Südinseltour - die Südinsel sollte man als JAFA (=Aucklander) unbedingt angeschaut haben; sie ist total anders, super abwechslungsreich, und man hat, wie eigentlich überall, tausende an Möglichkeiten was man machen kann. Was steht heute an? Ist heute Dienstag? Dann sind wir wohl grade in Kaikoura und auf dem Weg ins Wasser zu hunderten Delfinen... Dort habe ich also den höchsten Bungeejump in Australasien gemacht, bin Jetboating gewesen, mit Delfinen geschwommen, auf einer Bootstour durch den Milford Sound (dem schönsten Fjord der Welt) gewesen und hab noch vieles mehr getan. Viele fantastische Orte würde man einfach übersehen, doch dafür ist ja Mr Duffet da, der an jedem besonders tollen Fleck anhielt. Das waren die schönsten Schulferien, die ich je hatte. Danach haben ein paar gute Freunde und ich auch noch zwei Trips nur für uns organisiert, was auch kein Problem war, sobald die Eltern und dann die Schule einwilligen. Dank der Busverbindungen kommt man überall hin, und bei allen Unternehmungen konnten wir einfach an unserer Jugendherberge abgeholt werden. Wenn so was dann reibungslos abläuft, fühlt man sich schon mal sehr erwachsen. Das Leben in einer Gastfamilie wird manchen vielleicht am meisten Sorgen bereiten. Aber wenn es in Neuseeland/Orewa Probleme in der Hinsicht gibt, wird man ohne weitere Probleme wechseln können. Ich hatte das Glück, bei eben dieser erwähnten Gastmutter unterzukommen, die vor mir schon über zehn Schülerinnen hatte. Sie hat mich bei all meinen Veränderungen, Überlegungen, Problemen unterstützt und mir viel beibringen können mit ihrer Art, die in vielerlei Hinsicht doch so anders war als die meiner Familie. Dadurch kann eine solche Beziehung zu einem wahren Augenöffner werden; man hat einfach die Chance, andere Lebensstile und -entwürfe auf eine Weise kennenzulernen, wie es sonst kaum möglich ist. Hinzu kam, dass meine Gastmutter einfach viel erlebt und noch mehr zu erzählen hat und unsere Interessen sich oft überschnitten haben und wir so genug zum Diskutieren und Schwärmen hatten. So haben wir uns oft stundenlang unterhalten, oder ich hab ihr einfach nur zugehört und gelernt. Das klingt jetzt alles mal wieder sehr positiv, aber das ist wohl der Eindruck, der bleibt. Wir hatten vor allem gegen Ende auch immer mal wieder Streit und es gibt immer noch sachen, die mich an ihr stören. Aber das beruht wohl auf Gegenseitigkeit und tut unserer Verbundenheit keinen Abbruch. Insgesamt kann man das auch sagen: Natürlich hat man bei so einem Erlebnis immer wieder Durchhänger, Probleme, Einsamkeit. Aber Erfahrungen sind die beste Möglichkeit, weiterzukommen, dazuzulernen, vielleicht sogar weise zu werden. Und Erfahrungen habe ich dort unglaublich viele gemacht. Ich hatte durch diesen Austausch die großartige Möglichkeit, fantastische Menschen, Situationen, Kulturen, und vor allem mich selbst kennenzulernen. Es war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe, und die bisher beste Zeit meines Lebens. Etwas ganz anderes ist da der Kulturschock, wenn man wieder zu Hause ist, man feststellen muss, dass hier viel zu vieles beim Alten ist, wo man sich selbst doch so sehr weiter entwickelt hat. Da kommt dann das Fernweh, die Decke fällt einem auf den Kopf und man fühlt sich unverstanden. Aber wenn ich all das noch einmal Revue passieren lasse, wird mir doch sehr bewusst, dass es das Wert ist. Absolut. Und in einiger Zeit, so bald wie möglich, werde ich auf jeden Fall zurückkommen, vielleicht ja dann für immer. In diesem halben Jahr habe ich ein neues Zuhause gefunden. Sowas ist für die Ewigkeit.

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