Erfahrungsberichte aus British Columbia

Maple Ridge: Nike Bahr

Ich habe vier Monate in Canada gelebt. Jetzt bin ich wieder zu Hause, wohne aber geistlich immer noch am anderen Ende der Welt. Das Land hat mich verzaubert. Total in seinen Bann gezogen. Umgehauen und beeindruckt. Nicht nur dass man selbst zwischen den riesigen, modernen Hochhäusern in Vancouver downtown noch das Grün der Berge sieht und sich das Meer ganz nah anfühlt, sondern auch die Leute so anders sind. In meiner Gastfamilie bin ich sehr herzlich aufgenommen worden. Von Anfang an habe ich mich als volles Familienmitglied gefühlt und bin auch direkt mit der Laptopkamera durch das Haus gelaufen und habe meiner Mama in Deutschland alles gezeigt. Die größten und wichtigsten Erfahrungen macht man als Austauschschüler ganz klar in der Gastfamilie. Das Familienleben in Canada war für mich unglaublich wichtig- klar, sonst hätte ich Heimweh bekommen. Ich glaube man muss sich Mühe geben und das ernst meinen. Ein bisschen im Haushalt helfen und zeigen wie glücklich man ist. Ich war die ganzen vier Monate glücklich, ich glaube fast, so glücklich wie noch nie in meinem Leben. In Canada kannst du gar keine schlechte Laune kriegen, das geht einfach nicht, nicht mal bei Regenwetter oder an einem Schultag mit Tests in jedem Fach. Schule war auch so eine Sache für sich. Der erste Schultag war kind of furchtbar, wie das ja in Deutschland auch der Fall ist. Wir mussten uns durch die Stundenplanverteilung quälen und dann alleine zu den ersten Unterrichtsfächern finden. Der Unterricht und auch die Kanadier sind am Anfang etwas schwierig. Natürlich ist da das Verständnisproblem, aber es ist auch so, dass sich die Kanadier zu Beginn nicht wirklich für Austauschschüler interessieren. Das ist ihnen ja auch nicht zu verdenken, wo wir ja eh nach ein paar Monaten wieder weg sind. Das soll jetzt nicht heißen, dass Freunde finden unmöglich ist, aber erstmal sind da noch ein ganzer Haufen anderer Austauschschüler, natürlich auch Deutsche, an die man sich zuerst sowieso hält. Ich habe schnell eine deutsche beste Freundin gefunden und zu unserem Glück hat sich aber noch eine Brasilianerin dazugesellt und so haben wir die ganze Zeit Englisch gesprochen. Mein Tipp ist, auch mit Deutschen Englisch zu sprechen. Das mag sich jetzt seltsam anhören und sicher im ersten Moment auch seltsam anfühlen, aber Englisch ist es doch, wofür man da ist. Und wenn Kanadier dich die ganze Zeit nur Deutsch sprechen hören und mit anderen Deutschen rumhängen sehen, zeigen sie noch weniger Interesse. Bevor ich geflogen bin, habe ich außerdem von jedem Returnee gehört, dass man unbedingt einem Sportclub beitreten muss, um schneller Freunde zu finden. Da ich die wohl unsportlichste Person in the whole wide world bin, wollte ich das nicht das nicht so ganz wahr haben. Es stimmt aber wirklich. Ich bin dann nach kurzer Zeit notgedrungen dem Feldhockeyteam beigetreten und habe den Sport lieben gelernt. Und als wäre es die Belohnung für die Mühen gute kanadische Freundinnen gefunden. Einfach auf sie zugehen und losquatschen ist das Beste und Einfachste. Normal sind die wirklich neugierig, wissen nur einfach nicht, wie sie einen Austauschschüler ansprechen sollen. Da ist es gut, wenn du selbst den „ersten Schritt“ machst. Eine andere Art Freunde zu finden ist der Unterricht. Den sehen selbst die Lehrer nicht so furchtbar eng und es lässt sich gut mit seinem Nachbarn beschäftigen. Die Kanadier waren immer alle impressed von meinem Englisch und wenn ich dann von der deutschen Schule gesprochen habe und wie schwer die sein kann, war das Gespräch schon voll im Gange. Dann wirst du bei Facebook geaddet und redest einfach jeden Tag mit den Leuten, sagst auf dem Flur Hallo und verbringst dein Lunch mit ihnen. Schon sind da neue kanadische Freunde. Kanadische Freunde zu finden ist eins der besten Erlebnisse die ich gemacht habe. Danach ist das Leben perfekt und die Hausaufgaben auch nur noch ein Klacks. Nach der Schule war ich grundsätzlich schwer beschäftigt. Entweder hatte ich Feldhockeytraining oder ich habe was mit Freunden unternommen. Eine der beliebtesten Tätigkeiten war zu Tim Horton’s oder Starbucks zu gehen, sich etwas zu trinken zu kaufen und einfach zu reden. Kino ist billig und salziges Popcorn mit Butter ist super, ich mag mittlerweile nichts anderes mehr. Abends ging es dann zu Fuß oder mit dem Bus wieder nach Hause und es gab Dinner. Abendessen ist für die Kanadier die wichtigste Mahlzeit des Tages, da sich dazu die ganze Familie versammelt und vom Tag erzählt. Am nächsten Tag geht es dann wieder von vorne los. Schule und Freunde treffen wie an den meisten typisch kanadischen Tagen. Die Lehrer haben von Anfang an erstmal eine hohe Meinung von einem deutschen Schüler, weil wir viel mehr Allgemeinbildung und Wissen haben als die Einheimischen. Jeder Lehrer hat seinen eigenen Klassenraum, mit Postern der favorisierten Hockeymannschaft, Dekoration oder Familienfotos. Die Atmosphäre ist ganz anders und der Unterricht effizienter, da das Material direkt vor Ort ist und die Lehrer nicht so schnell etwas vergessen können. Kanadische Jugendliche sehen Schule teilweise eher als gezwungenen Zeitvertreib und genauso benehmen sie sich. Es wird Musik gehört, Lunch gegessen oder geschlafen. Sms werden sowieso die ganze Zeit geschrieben, oft auch einfach durch den Raum. In vier Monaten habe ich außer Hausaufgaben nicht viel machen müssen. Keine mündliche Mitarbeit und kaum Lernen. Das war einfach nicht nötig, ich hatte auch so sehr gute Noten. Dies liegt jetzt nicht an mir persönlich, sondern an unserem deutschen Schulsystem, es ging uns allen so. Die Schule braucht man nicht so extrem ernst nehmen. Das heißt nicht, dass man schwänzen und sich komplett daneben benehmen kann oder sollte. Das ist ja wohl einfach peinlich. Aber wale watching oder ein Ausflug in die States sind wichtiger als ein Schultag. Das weiß der Schuldistrikt und das wissen die Gasteltern und beide unterstützen es. Kanada ist das tollste Land der Welt und Achtung, es herrscht Suchtgefahr! Die Menschen gehen mit einem Lächeln durchs Leben und selbst in der Rushhour bleiben sie in Vancouver freundlich. Nur so als Beispiel mal. Die Landschaft mit ihren Bergen und dem Meer ganz nah ist unglaublich schön und ich habe mich so schnell an den Anblick gewöhnt, dass ich ihn jetzt sehr, sehr vermisse. Die Berge haben was Beruhigendes. Man kommt sich zwar klein vor, aber das Grün sieht im Regen unglaublich aus. Genau wie im Film. Dann sind da noch diese typisch kanadischen, holzverkleideten Häuser und die Pick-ups in jeder Einfahrt, mit denen man dann zu riesigen Supermärkten fährt und riesige Mengen einkauft. Ich vermisse das kanadische Alltagsgefühl und das Wissen, dass man einfach in den Tag herein leben kann, trotz Schule. Die kanadische Freundlichkeit, dass die Menschen tatsächlich Auskunft geben, wenn auf der Straße nach der Uhrzeit fragt. Das die Verkäufer fragen, wie es einem geht und sich für deinen Tag interessieren. Das die Milch im Kanister neben dem Orangensaftkanister in der Kühlschranktür steht und dass es bestimmt hundert verschiedene Müsliriegel-Sorten gibt. Hiermit gratuliere ich jedem, der sich für Canada entschieden hat. Ihr habt genau die richtige Wahl getroffen!

Weitere Erfahrungsberichte aus British Columbia