Erfahrungsberichte aus Chartre

Chartre: Jule R.

Drei Monate sind seit meiner Rückkehr nach Deutschland vergangen. Es kommt mir jetzt so vor, als wäre ich nie weg gewesen, sondern hätte einen langen Traum gehabt. Einen Traum, bei dem ich viel gelernt habe, über die französische Kultur, das Leben in Frankreich, die Franzosen selbst, natürlich die Sprache und auch über mich! Kurz vor meiner Abreise war ich so aufgeregt, dass es bei mir kein anderes Thema mehr gab. Überall musste ich jedem davon erzählen. Ich war sehr froh, dass ich schon fünf Monate, bevor es losgehen sollte, meine Gastfamilie zugeteilt bekommen habe. So konnte ich sofort mit ihr über Mails in Kontakt treten und sie besser kennenlernen. Ich sollte in Bailleau-Armenonville wohnen, einem kleinen Dorf auf dem Land in der Nähe von Chartres. Zu meiner Gastfamilie gehörten meine Gasteltern und zwei ältere Gastschwestern, wobei eine schon ausgezogen war. Außerdem hatten wir eine kleine Katze und später kam noch ein Hund dazu. Als ich am 30. August abreisen sollte, war Abschied angesagt. Ich war natürlich sehr traurig, alle meine Freunde und meine Familie zu verlassen und stellte mir Fragen wie „Bist du dir wirklich sicher, dass du für so eine lange Zeit ins Ausland gehen möchtest? Wie das wohl alles werden wird..“. Allerdings reizte es mich sehr, neue und spannende Erfahrungen zu machen, sodass ich diese Gedanken verwarf. Bei meiner Ankunft in Paris wartete dort ein Wochenende mit lauter Jugendlichen aus der ganzen Welt auf mich. Es wurde zunächst mehr Englisch als Französisch geredet, weil das für alle einfacher war. Wir wurden auf den französischen Alltag vorbereitet und was uns sonst so erwarten könnte. Einen Tag waren wir natürlich auch zum Sightseeing in der Stadt unterwegs. Allein an diesem Wochenende habe ich Freunde in z.B. Mexiko, Norwegen und Schweden gefunden, mit denen ich jetzt immer noch in Kontakt stehe. Dann war es so weit und ich durfte endlich meine Gastfamilie kennenlernen. Mit dem Zug war es nur eine Stunde von Paris weg. Schon bei der ersten Begegnung mit meiner Familie bemerkte ich, was für liebe Menschen sie sind. Küsschen links, Küsschen rechts, ein glückliches Lächeln und eine Umarmung! So ging es von da an weiter. Jeden Morgen und Abend, immer zum Begrüßen und Verabschieden. Anfangs war es ziemlich ungewohnt für mich, aber nach einer gewissen Zeit gefiel es mir sogar so gut, dass ich gleich bei meiner Rückkehr nach Deutschland die Küsschen zum Verabschieden eingeführt habe! Während meiner ersten Woche waren meine Gasteltern mit mir im Urlaub an der Atlantikküste. Die Umgebung war so schön dort und das Wetter super! Wir haben viel geredet und gelacht. So fiel es mir leicht, mich einzugewöhnen. Nach unserem Urlaub klärten wir Dinge wie „Wann muss ich aufstehen?, Wie kann ich im Haushalt helfen?, Wann soll ich Licht ausmachen?, ...“. Es waren alles Sachen, die ich aus Deutschland kannte, nur dass sie mir in Frankreich wichtiger erschienen. Als es in die Schule ging, war ich richtig aufgeregt. Ich sollte in die 2nde 3 gehen, welche in Deutschland einer Jahrgangsstufe unter mir entsprach. Zuerst hatte ich Bedenken, wie es ist, mit 1-2 Jahre jüngeren Franzosen in eine Klasse zu gehen, aber nach einer gewissen Zeit stellte sich heraus, dass es das Beste war, was mir passieren konnte. Ich wurde in meiner Klasse sehr gut aufgenommen und habe schnell Freunde gefunden. Natürlich hatte ich anfangs Sprachprobleme, was mich zwischendurch auch genervt hat, aber meine Freunde meinten immer wieder lachend: „Prends ton temps.“ (Lass dir Zeit.) Nach einiger Zeit begann ich sogar, auf Französisch zu fluchen, worüber sie erstaunt waren. Meine Gasteltern hingegen fanden das super und lachten darüber. Das französische Schulsystem ist ganz anders als das deutsche (die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern ist dort distanzierter, es gibt Ganztagsschule,...), sodass es mir anfangs schwerfiel, mich an dieses zu gewöhnen. Nach einiger Zeit war es völlig normal und ich hatte richtig Spaß. Der Unterricht endete für mich immer um 17.00 oder 18.00, außer mittwochs, denn da hatte ich schon um 12 Schluss. An dem Tag haben die Franzosen Zeit, ihren Hobbys nachzugehen. Ich aber habe zu Anfang an diesem Tag mit meinen Freunden oder meiner Familie in Deutschland geskypt. Später wurde dies allerdings weniger, weil ich anfing, richtig in Frankreich zu leben und nicht nur Gast zu sein. Ich änderte meinen Alltag so, dass ich immer weniger an meine Lieben in Deutschland dachte. An Weihnachten habe ich sogar vergessen, mich bei meinen Eltern zu melden! Meine Gastfamilie lebte mit mir ihren französischen Alltag. Ab und zu unternahmen wir etwas zusammen, traf ich mich mit Freunden und abends saßen wir oft vorm Fernseher oder redeten einfach. Ich schrieb auch Tagebuch, was ich nur empfehlen kann. So vergisst man nie, was man alles erlebt hat und wie man sich dabei gefühlt hat. Ich wurde mit der Zeit immer französischer (sagten mir meine deutschen Freunde) und das merkte ich auch selbst. Ich wurde offener, lebte nach dem Motto „Einfach mal ausprobieren und sehen wie's wird.“. Und ich habe viel mehr ausprobiert, beim Essen zum Beispiel (Schnecken, Frösche, Austern, Crêpes,..). Hört sich vielleicht nicht alles lecker an, war aber gar nicht so schlecht! Natürlich gab es auch Momente, in denen ich gerne bei meiner Familie in Deutschland gewesen wäre oder einfach jedes Wort verstanden hätte, aber die gingen auch wieder vorüber. Außerdem gehört es zu jedem Austausch dazu, Hoch- und Tiefpunkte zu haben. Das zu wissen hat mir in solchen Momenten geholfen. Ein Tiefpunkt war zum Beispiel, als mein Gastvater Anfang Dezember so krank wurde, dass das eintrat, wovor ich am meisten Angst hatte: Ich sollte die Gastfamilie wechseln! Ich wurde von meiner Organisation unterstützt, meine Betreuerin sagte mir, was ich zu tun hatte. Ich habe meine Freunde gefragt, ob sie sich vorstellen können, mich für die letzten Wochen aufzunehmen, die mir blieben. Zu meinem Glück meinten viele meiner Freunde, dass sie gern zu Hause fragten und dass ich immer willkommen sei. Darüber war ich sehr erleichtert, denn so wusste ich, dass ich nicht in eine komplett fremde Familie käme. Es zeigte mir auch, was für gute Freunde ich doch gefunden hatte! Schon einen Tag später gab mir eine Freundin die feste Zusage, dass ich zu ihr ziehen kann, wenn die Organisation damit einverstanden ist. Und eine Woche später war es dann so weit. Ich packte meine Sachen und zog um. Der Abschied von meiner ersten Gastfamilie fiel mir sehr schwer, aber wir hatten abgemacht, uns noch während meines Aufenthalts zu sehen, und das ist uns gelungen! Meine zweite Gastfamilie war anders als die erste. Zu meinen neuen Gasteltern kamen noch zwei jüngere Gastgeschwister, meine Freundin plus Hund. Dieses zweite Eingewöhnen war viel leichter für mich, da ich die Sprache besser beherrschte und auch schon meine älteste Gastschwester kannte. Ich wurde, auch wenn ich nur für kurze Zeit dort wohnen sollte, so aufgenommen wie ein richtiges Familienmitglied. Nach nur einer Woche habe ich mich bei ihnen so wohl gefühlt, als hätte ich schon viel länger da gewohnt. In den Weihnachtsferien haben wir einiges an Ausflügen unternommen, z.B. waren wir in Paris, shoppen, Schlittschuhlaufen, bei den Großeltern,...
Somit folgte meinem Tiefpunkt eine wunderschöne Zeit. Als mir dann nur noch wenige Tage blieben, wollte ich nicht mehr nach Hause zurückkehren. Es gefiel mir unglaublich gut in Frankreich. Ich hatte mich verändert und so viel gelernt! Als es soweit war, musste ich fast mehr weinen als zu Beginn des Abenteuers. Der Wechsel der Gastfamilie war eine große Bereicherung für mich. Obwohl ich mich mit meiner ersten Familie sehr gut verstanden habe, bot sich mir die Möglichkeit, noch eine weitere Lebensweise in einer Familie kennenzulernen und dadurch noch mehr Erfahrungen zu sammeln. Ich bin sehr froh, mich für einen Auslandsaufenthalt entschieden zu haben. Ich habe - neben dem Erlernen der Sprache - schöne Erinnerungen und wertvolle Erfahrungen gesammelt, zwei herzliche Familien und super gute Freunde gefunden, mit denen ich heute immer noch in engem Kontakt stehe. Ich kann es kaum erwarten, wieder zurückzugehen, um alle wiederzusehen. Frankreich ist mein zweites Zuhause geworden! Ich empfehle wirklich jedem, einen Schüleraustausch/Auslandsaufenthalt zu machen. Ihr werdet es nie vergessen und vermutlich die beste Zeit eures Lebens haben!