Erfahrungsberichte aus Tianjin

Tianjin: Theresa Heuer

Zehn Monate China – viele meiner Bekannten haben mich für verrückt erklärt. Na klar. Da fährt eine in das Land, wo man alles isst, was vier Beine hat. Sogar HUNDE!! Das sagt doch schon alles, oder? Tja meine Lieben, jetzt bin ich wieder zurück und ich kann euch sagen: ich habe tatsächlich Hund gegessen. Da staunt ihr, was? Und löchern tut ihr mich... anscheinend doch ganz interessant, wenn man in das Land der Mitte fährt... Die ersten Tage nach unserer Ankunft wurden alle Ausländer zusammen in Peking untergebracht und haben an einem Vorbereitungsseminar teilgenommen. Schon am Flughafen war klar: Dieses Jahr wird das aufregendste meines Lebens! Da gibt es einfach so viel zu entdecken. Nach 10 Tagen wurden schließlich alle ???? (Austauschschüler) ihren Gastfamilien zugeteilt. Für mich, einen anderen Deutschen und einen Franzosen hieß dass, von den anderen Abschied zu nehmen, die weiterhin in Beijing zur Schule gehen würden und sich gen Süden zu wenden, in die anderthalb Stunden entfernte Hafenstadt Tianjin. An die Fahrt dorthin kann ich mich noch besonders gut erinnern. Ich saß mit meinen chinesischen Eltern im Auto. Keiner sprach die Sprache des anderen und trotzdem haben wir es irgendwie geschafft, uns verständlich zu machen. Dieser Moment: Ich sitze mit zwei fremden Chinesen im Auto, die Landschaft rast vorbei, und plötzlich bin ich so unglaublich glücklich, dass ich genau da bin, wo ich in diesem Moment bin: In China!! Die Monate in Tianjin sind verflogen. Jedenfalls kam mir das so vor. Ich bin, wie alle anderen Chinesen, bis um fünf Uhr in die Schule gegangen und wurde danach von meiner Mutter mit dem Auto abgeholt. Zuhause musste meine Schwester dann Hausaufgaben machen und ich hab oft noch Chinesisch gelernt oder Filme geguckt (50 Cent pro DVD!!)... Da die Lehrer in meiner Schule alle Chinesen waren, könnte man jetzt annehmen, dass das für mich ziemlich langweilig gewesen sein muss. Stimmt aber nicht! Ich habe die Zeit eigentlich immer mit Chinesischlernen verbracht und in den 20- und 90-minütigen Pausen hat sich die tolle Gelegenheit geboten, etwas mit meinen Mitschülern zu unternehmen und Freundschaften zu knüpfen. Für viele war ich die erste Freundin überhaupt. Die Ausbildung dort drüben verbietet es sozusagen sich als chinesische Schülerin sozial zu engagieren und sich mit Freundinnen zu treffen. Da ich aber etwas Besonderes war, an dessen Seite es lobenswert schien, aufzutauchen (Ich muss dazusagen, in meiner Stadt gab es nicht so viele Ausländer, wie in Peking), habe ich oft Einladungen nach Hause bekommen, wo ich dann stundenlang mit den besten Gerichten des Hauses verpflegt wurde. Chinesen sind wirklich süß! An den Wochenenden hatte ich abends jeweils zwei Stunden lang Teakwondo Training bei zwei waschechten Koreanern, von denen der „big Boss“ selber kein Wort chinesisch konnte. Außerdem habe ich mir dreimal wöchentlich abends eine chinesische Studentin kommen lassen, die mir auf ihre Weise versucht hat, die Sprachen nahe zu bringen. Englisch konnte sie selber nur gebrochen, und weil ich es während meines gesamten Aufenthalts nicht geschafft habe, mir ein vernünftiges Chinesisch-Lehrbuch zu beschaffen, habe ich die Sprache praktisch nur über die Methode „Versuch und Irrtum“ gelernt! Da ich viele Stunden mit Lernen zugebracht habe und mich immer gerne mit Chinesen austausche (die übrigens super neugierig sind), bin ich jetzt in der Lage, Harry Potter auf Chinesisch zu lesen und mich soweit mündlich zu verständigen, dass ich ohne Probleme Smalltalk und mit vielen Umschreibungen auch tiefergehende Gespräche führen kann. Die Schüler, die in Peking untergekommen sind hatten das Jahr über die Chance, während der Schulzeit von der Schule organisierten Chinesischunterricht zu belegen und so die Sprache auf andere Weise gut zu lernen. Dafür haben viele von ihnen es nicht geschafft, echte Freundschaften zu Chinesen aufzubauen, da sie die ganze Zeit von ihnen getrennt waren und es sich angeboten hat, untereinander zu bleiben. Gleich am Anfang meines Aufenthaltes wurde ich von meiner Familie, mit der ich ein sehr gutes Verhältnis hatte, nach Shanghai mitgenommen. Und im Februar bin ich mit der Organisation nach Yunnan, in den Süden geflogen. Ich habe mir also auch außerhalb meiner Stadt ein gutes Bild von China machen können. Am Agriculture Training (Chinesen müssen fünfmal in ihrer Schullaufbahn Militärtrainings absolvieren) habe ich teilgenommen, später wurde ich von meiner Schule gebeten, eine Vorstellung vor versammelter Mannschaft zu geben und kurz vor meiner Abreise habe ich mit den beiden anderen Ausländern eine Stunde live im Radio „Schneewittchen“ auf Chinesisch vorgelesen und Interviews gegeben. Zusammenfassend kann ich sagen, dass dieses Jahr das absolut geilste von allen war! Ich vermisse China und die Leute da so sehr, dass es weh tut! Ich würde am liebsten noch einmal zehn Monate hinfahren! Aber damit muss ich wohl bis nach meinem Abi warten. Alle, denen es noch offen steht, zu entscheiden, wo sie sich das nächste Jahr lang hinbegeben, lege ich es deshalb ans Herz sich mal über einen Chinaaufenthalt Gedanken zu machen. Ich schwöre euch, dass diese Reise euch fürs Leben prägen wird und euch offener für neue Kulturkreise und Abenteuer machen wird. Es lohnt sich wirklich! Theresa Heuer Tianjin, China